Quilts für Susan Atkins
Malerei auf Nessel, Futterstoff, Schaumstoff, Nessel. Sieben Quilts à 125 cm x 100 cm, 2008

Die Arbeit entstand für die Ausstellung „MAN SON 1969, vom Schrecken der Situation“ der Hamburger Kunsthalle im Frühjahr 2009.
Dem Phänomen Manson habe ich mich über die Frauen angenähert. Mansons Family bestand zum großen Teil aus davongelaufenen Mädchen, die er überall auflas, und denen er einen neuen Zusammenhang gab. Er war die Vaterfigur, bis hin zum Jesusimpersonator und weiter zum Teufel persönlich, der Schöpfer einer neuen weißen Rasse, die die Weltherrschaft übernehmen sollte.
Susan Atkins war eine der Frauen, die Charles Manson zum Morden schickte. Sie war jedenfalls an acht von der Manson-Familie begangenen Morden beteiligt. Daß sie selbst zugestochen habe, hat sie später widerrufen. Sie ist 1969 zunächst zum Tod verurteilt worden. Da die Todesstrafe in Kalifornien vorübergehend abgeschafft worden war, entkam sie der Gaskammer und sitzt seitdem in lebenslänglicher Haft. Kalifornien nimmt das wörtlich. Momentan wird ein Gnadengesuch aufgrund einer schweren Erkrankung geprüft. Susan Atkins hat einen Hirntumor, es wurde ihr ein Bein amputiert.
Die Webseite, die ihr Mann für sie unterhält, sie ist verheiratet und heißt jetzt Atkins-Whitehouse, beeindruckt durch zwei Inhalte. Akribisch listet ein endlos langer Text vergebens die Verdienste der Mustersträflingsfrau Atkins auf. Sie wird seit 40 Jahren beobachtet, und beurteilt wie eine Schülerin. Nicht nur benimmt sie sich während der ganzen Zeit tadellos gegenüber dem Gefängnispersonal und besucht Psychiater, die ihre Entwicklung, ihre Einsicht, ihre Reue loben, sie engagiert sich in allen Resozialisierungsprogrammen, die ihr die Gefängnisleitung anbietet. Sie nimmt an den Gruppen gegen Drogen und Alkohol teil. Sie ist in Arbeitskreisen mit schwarzen Frauen und solchen mit hispanischen Frauen involviert. Sie korrespondiert und spricht mit Jugendlichen, die in Gefahr sind, Straftaten zu begehen. Sie hat Charles Manson und der Family abgeschworen, ist gegen die Verherrlichung und Vermarktung ihres negativen Ruhmes. Sie ist vielfältig kirchlich engagiert. Sie hat sich kurz nach ihrer Verurteilung zur wiedergeborenen Christin geläutert. In jahrelangen Intervallen, darf Susan Atkins um Gnade ersuchen. Diese Verfahren sind in den letzten Jahren gefilmt worden. Man kann sie auf Youtube ansehen. Die Gesuche werden regelmäßig abgelehnt.
Neben dem nicht enden wollenden Führungszeugnis prangt gleichlaufend eine lange Kette von Portraitfotos, eines unter dem anderen. Bilder einer hübschen, properen, jungen, amerikanischen Frau, die ihre nette Familie in einem Vorort oder einer Kleinstadt managen könnte. Diese Frau wandelt sich über die Zeit in eine ebenso freundlich und normgerecht aussehende ältere Dame, deren Lächeln auch gut zur Werbung für ein mildes Mittel gegen Altersgebrechen passen würde. Ein Leben ist fehl gegangen, vergeht am falschen Ort. Der amerikanische Staat läßt seine Gefangenen immerhin so leben, daß sie gesund und normal aussehen, so sie die Kraft haben, diesen Spagat über die Jahre zu halten. Eine grausame Absurdität.
Meine Arbeit vermittelt in sieben Portraits wenigstens einen verkürzten Begriff von dieser Bilderkette. Das erste, ein Pressefoto, ist nicht auf Atkins Webseite zu sehen. Es zeigt sie vor engmaschigem Gitter, wohl im Gefangenentransporter, damals noch in extremer Trotzhaltung der vermeintlich gesellschaftsverändernden Mörderin auf todbringenden Weg. Auf ihrer Stirn trägt sie das X, das sich zur Zeit des Prozesses viele aus der Mansonfamilie einritzten. Manson vervollständigte es für sich zum Hakenkreuz. Auf dem zweiten Bild von 1974 ist sie als erleuchtete wiedergeborene Christin zu sehen. Das letzte Bild von 2004 zeigt sie weißhaarig.
Die Portraits habe ich auf sogenannte Quilts aufgenäht. Quilten ist eine in Asien, Europa und Nordamerika angewandte Technik, wärmeisolierende Decken und Kleidung aus Dämmaterial zwischen zwei Lagen Stoff herzustellen. In den USA fabrizieren fleißige Hausfrauen traditionelle, schmückende Bettüberwürfe, Tagesdecken aus vielen kleinen Stoffresten, meist zu geometrischen Mustern angeordnet, eine tugendhafte Beschäftigung, die noch das letzte Restchen Stoff einer Bestimmung zuführt. Im Gefängnis ist daraus soziales Engagement geworden, das „Quilts for the homeless“-Programm, das Atkins laut ihrer Verdienste-Liste regelmäßig besuchte, dann leitete. Hier werden gequiltete Schlafsäcke für Obdachlose gefertigt. Dem Obdachlosen wird ein winziges Teil häuslicher Wärme mitgegeben, ein lustig gemeinter farblicher Lichtblick aus bunten Stoffresten, ein Schlafsack, der doch viel zu dünn ist, leicht zu verschmutzen, sehr verletzlich, grob aus zwei Stofflagen und etwas Isoliermaterial zusammengenäht. (Herstellungsanleitung bei You-Tube: „Quilts for the homeless“.)
Meine Quilts für Susan Atkins beginnen in Blutrot mit den Stabwounds, den Stichwunden, die den Mordopfern zugefügt wurden. Beim zweiten nehme ich mit acht Kreuzen (acht Mordopfer) als Randmuster Bezug auf ihre Läuterung zur wiedergeborenen Christin, eine Wandlung, die sie möglicherweise durchmachen mußte, um ihren Verstand zu retten. Im weiteren beziehe ich mich auf ihre Blumenliebe, ersichtlich in ihren Blumenaquarellen, die auch auf ihrer Homepage zu sehen sind, und benähe die Decken mit Blumenmustern um ihre Portraits. Sie werden immer komplizierter und verfeinerter, und sie verblassen, wie ihre Haare weiß werden.
Was machen Frauen im Gefängnis? Sie malen und nähen. Meine Näharbeit ein selbstgewählter weiblicher Frondienst, mühselig und stupide, war tatsächlich eine Art Akt der Dankbarkeit, daß ich im Leben nicht so fehl gehen mußte wie Susan Atkins.


www.hamburger-kunsthalle.de/manson/catalog/klein.htm